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Mellis Buch, Kapitel 2 (3)

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Passenderweise geht es beim Thema ‘Agentur für Arbeit’ endlich weiter mit Mellis Buch: Nachdem Melli eiskalt und vor allem gänzlich unerwartet von ihrem Chef auf die Straße gesetzt wurde, ist nun erst einmal eine Meldung bei der Agentur für Arbeit fällig.

Achtung! Das ist eine Jobgeschichte in Fortsetzungen.
Hier gehts zum ‘Klappentext’.
Und hier findest du den Romananfang.

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Als Kerstin spät abends nach stundenlanger Gruberscher Katalogproduktion nach Hause kam, lag ich bereits ausgeknockt aus dem Sofa, sie hatte große Mühe mich ins Bett zu schleppen, und am Morgen danach brummte mir mein Schädel ungnädig zu, dass einige Spirituosen weniger ihren Zweck durchaus auch erfüllt hätten. Da hatte mich wohl zu sehr in Selbstmitleid und Alkohol versenkt, dabei vertrage ich den Stoff wirklich nicht. Das torkelnde Gefühl der Gleichgültigkeit, dass mich gestern dank einer Mischung aus Kräuterlikör und Bordeaux vorübergehend erlöst hatte, rächte sich nun, und ich musste dem Schmerzmittel einige Zeit geben, seine Wirkung zu entfalten. Dann jedoch riss ich mich zusammen, machte mich fertig für einen Besuch bei der Agentur für Arbeit (hoffentlich hatte ich keine Fahne) und stapfte los. .

Welch eine Verschwendung von Lebensenergie, denn nun machte das Amt mich fertig! Ja, ich schreibe bewusst ‚Amt’, denn was ich mit Wort Agentur an Service und Leistung verbinde, wurde dem mir nun Gebotenen nicht gerecht: Zunächst wartete ich ergeben eine Dreiviertelstunde in einem vollen Warteraum – eine gezogene Nummer unter vielen. Als ich dran war, gab mir eine mürrische Dame Auskunft, für mich sei das Hochschulteam zuständig und ich müsse mich ganz woanders anstellen. Das hatte ich versäumt zu recherchieren, ja, ich war gar nicht auf die Idee gekommen, ausgerechnet bei der staatlichen Arbeitsagentur gebe es eine Zweiklassengesellschaft. Aber das machte natürlich Sinn. „Sicher komme ich ‚woanders’ in Genuss einer spezifischen Beratung“, überlegte ich naiv.
Beim Hochschulteam hatte ich wieder zu warten und beschloss, künftig einen Termin zu vereinbaren, falls ich hier häufiger zu erscheinen hätte. Wie machten das nur die Leute, die die Frist nicht verpasst hatten und noch „nebenbei“ arbeiteten?
Endlich winkte mich ein die Stirn runzelnder, bulliger Typ Mitte 50 in sein Büro. Ich erklärte ihm die Lage.
„Da hätten sie aber früher kommen müssen“, brummte er streng. „So sind Sie erst mal drei Monate gesperrt“.
„Das kann nicht sein!“, rief ich, „ich hatte ja quasi eine Zusage für eine Vertragsverlängerung, deswegen habe ich mich nicht früher gemeldet“.
„Wenn Sie eine Zusage haben, gilt das als Vertragsschluss. Das können Sie einklagen! Viel Erfolg dann auch …“.
„Moment mal“, argumentierte ich, „meine Weiterbeschäftigung war an bestimmte Bedingungen geknüpft, unter anderem daran, dass kein Kunde abspringt“.
Dem Himmel sei Dank für meine Geistesgegenwart, nun war ich auf dem richtigen Argumentationsweg. Der ließ sich auch gegenüber anderen sicher noch einsetzen. Warum auch sollte ich meine Mitmenschen mit der
Wahrheit überfordern und mich zudem in ein schlechtes Licht setzen, wenn ich mein Gesicht mit ein wenig Realitätskosmetik wahren konnte.
„Und jetzt ist ein Kunde abgesprungen?“, fragte Bulli etwas weniger amtlich, ja fast mitfühlend.
„Ja, und obendrein unser größter!“, improvisierte ich, „er wollte eine neue, innovative Kampagne lancieren. Und meine Agentur hat das Pitch verloren! Jetzt sind wir komplett raus aus der Nummer. Ein Supergau!“.
Bulli machte tellergroße Augen. „Wie auch immer“, wechselte er das Thema, „haben Sie denn alle erforderlichen Unterlagen dabei?“
Hatte ich. Voller Stolz über meine Umsicht knallte ich ihm eine dicke Plastiktüte mit Arbeitsverträgen, Rentenbescheiden, Sozialversicherungsgeschichten, Zeugnissen, und und und auf den Tisch. Ich war in der Tat spät dran, da wollte ich nichts dem Zufall überlassen. Bulli staunte nicht schlecht.
„Nächstes Mal informieren Sie sich besser online, was Sie brauchen. Oder sie rufen einfach mal an“, murrte er, als wir meine Papiere auseinander sortierten.
„Lohnsteuerkarte?“
Die hatte ich natürlich noch nicht.
„Sollten Sie aber bald nachreichen“, mahnte Bulli.
Dann endlich setzte er meinen Antrag auf. Er schikanierte mich noch mit allerlei Fragebögen zu Lebenslauf, Qualifikationen, Fähigkeiten und Stärken, die ich im Warteraum ausfüllte. Alles klar, hier ging es nicht um die Finanzierung meiner Bedürfnisse, auch nicht um Beratung zu meinen Karrieremöglichkeiten, sondern die Agentur für Arbeit bemühte sich mittlerweile a priori um das erfolgreiche Vermitteln von Arbeitskräften. Dafür sei es schon arg wichtig, so Bulli drohend, dass ich auf alle Angebote, die mir künftig angetragen werden würden – auch überregional übrigens – wirklich immer mit Bewerbungen reagierte, sonst würde ich aus dem Programm rausfliegen. Drei Ablehnungen und ich würde kein Arbeitslosengeld mehr bekommen … außerdem hatte ich monatlich eine bestimmte Quote an Bewerbungen zu erfüllen. Dabei machte Bulli kein Hehl daraus, dass bei meinem Profil kaum Angebote zu erwarten seien und ich dementsprechend flexibel sein müsse. Höchstwahrscheinlich hatte er selbst eine Quote an erfolgreichen Vermittlungen zu erbringen, und hielt mich diesbezüglich nicht für viel versprechend. Sichtlich ungern nahm er mich in seinen Bewerberpool auf, obwohl der mir zugestandene Geldbetrag noch unter dem Mindestsozialsatz lag. Ich kam mir daher mehr wie ein Bittsteller vor, der sich unredlich staatliche Gelder erschleichen möchte, als wie der Klient einer Agentur, der eine Versicherungsleistung in Anspruch nimmt. „Bloßes Umbenennen reicht halt nicht“, dachte ich bitter.
Der Bescheid, wie lange ich aufgrund meines zeitlichen Versäumnisses nun tatsächlich gesperrt wäre, würde mir per Post zugehen, beendete Bulli seine Ausführungen. Die ausgefüllten Fragebögen sollte ich am Infotresen abgeben.
Ich war entlassen.

Zur Fortsetzung von Mellis Buch



Special Literaturwissenschaft: Alle Artikel

  1. Auftakt: “Was macht man denn nun eigentlich und tatsächlich als Literaturwissenschaftler?”
  2. Entscheidungshilfe: Promotion ja/nein?
  3. Exkurs ins Romaneske I: Literaturwissenschaft am/im Werk
  4. Exkurs ins Romaneske II: Ein Besuch bei der Agentur für Arbeit – > Mellis Buch, Kapitel 2 (3)
  5. Stellenvermittlung? Berufsberatung? Was bringt die Arbeitsagentur?
  6. Hilfe bei der Berufswahl: Welcher Job passt zu mir?
  7. Welche Tätigkeit? Für wen? In welchem Job? Stellen für LiteraturwissenschaftlerInnen
  8. Rück- bzw. Ausblick: So kann’s gehen: Werdegang einer Quereinsteigerin

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